Den Verhältnissen zum Trotz: Antifa weitermachen

Aufruf zur bundesweiten Antirepressionsdemonstration in Jena am 14. Juni 2025:

Mitten in der Nacht in der Zelle geweckt. Mit einem Sack über dem Kopf in ein Fahrzeug gezerrt. Vehement fragen, was los sei, nach dem Anwalt rufen – keine Antwort. Ein Helikopterflug nach Österreich. Kein Warten auf die Entscheidung des höheren Gerichts. „Wenn wir jedes Mal abwarten würden, ob ein Eilantrag in Karlsruhe gestellt wird, wären wir handlungsunfähig“, erklärt wenig später Oberstaatsanwältin Simone Herbeth. In Österreich angekommen, an der Grenze den ungarischen Behörden übergeben. Keine zwölf Stunden zwischen deutschem und ungarischem Knast. Ein halbes Jahr später dann die Schlagzeile in der Tagesschau: „Auslieferung von Maja T. nach Ungarn war unzulässig.“

Ob Ost, ob West, ob Budapest…

Angefangen hat alles mit Auseinandersetzungen mit Neonazis rund um den sogenannten „Tag der Ehre“ in Budapest, einem Gedenktag, an dem sich jedes Jahr hunderte Rechtsextreme aus ganz Europa versammeln, um in Opas SS-Uniform Schnitzeljagd auf Hakenkreuze zu machen. Die ungarischen Behörden unter Viktor Orbáns autoritärer Regierung – unter freudiger Unterstützung der deutschen Polizei – nutzten diese Ereignisse als Vorwand, um eine europaweite Verfolgung antifaschistischer Aktivist*innen einzuleiten. „Es ist ein Staat, der ganz offen Menschen wegen ihrer Sexualität oder ihrem Geschlecht ausgrenzt und separiert, ich bin angeklagt von einem europäischen Staat, weil ich Antifaschist*in bin.“ sagt Maja in der Prozesserklärung, die bei der ersten Anhörung in Budapest vorgetragen wird. Die ungarischen Behörden reagieren mit massiver Repression, und der deutsche Staat macht bereitwillig mit. Dass der deutsche Staat bei der Verfolgung von Antifaschist*innen seine eigenen Gesetze missachtet, ist keine Fußnote. Recht und Gesetz mit Füßen zu treten, sobald es die politische Agenda ausbremst, ist ein Gradmesser für autoritäre Tendenzen staatlichen Handelns und einendes Merkmal rechter Regierungen.

Die Auslieferung Majas ist eine der symbolträchtigsten Episoden des unsäglichen sogenannten „Budapest-Komplexes“. Die Verfolgung von Lina E. und der »Antifa-Ost«-Prozess waren lediglich der Anfang eines organisierten Angriffs auf die antifaschistische Bewegung – sicherlich der umfangreichste der letzten 30 Jahre seit der Kriminalisierung von Gruppen der Antifaschistische Aktion – Bundesweite Organisation (AA/BO). Dabei ist der »Budapest-Komplex« eine der größten Repressionswellen gegen Antifaschist*innen in Europa, mit zwischenzeitlich zwölf Antifas in Haft und weiteren von juristischen Verfahren Betroffenen.

Reaktion global – der neue Faschismus

Der Budapest-Komplex zeigt exemplarisch, wie antifaschistisches Engagement kriminalisiert und mit aller Härte verfolgt wird, während gleichzeitig rechte Netzwerke weiterhin auf einer hohen Ebene agieren können und die Arbeit der AfD als ihren parlamentarischen Arm perfekt ergänzen. Waschechte Nationalsozialist*innen und Rechtsterrorist*innen ​​​​​​​agieren heute in einer Gesellschaft, in welcher der ideologische Abstand zu ihnen abnimmt und sie viele tendenziell hinter sich wissen dürfen. Wir sehen einen neuen Faschismus am Werk, der zwar als »plurale Rechte« aus unterschiedlichen Teilen besteht, aber eine Aktualisierung und Erneuerung faschistischer Überzeugungen und Politikformen ist. Dieser Faschismus ist nicht identisch mit dem Nationalsozialismus, sondern spielt mit historischen Bezügen – teils durch Abgrenzung, teils durch Tarnung und Anspielung. Er ist ​​​​​Teil der Strategie einer sogenannten Neuen Rechten, der es weniger um Blut und Boden geht, sondern um eine kulturelle und gesamtgesellschaftliche Vorherrschaft, die auch über Wahlen an die Macht kommen will. Sie ist zwar rassistisch und völkisch, lässt sich aber nicht darauf reduzieren. Die AfD ist hierzulande die parlamentarische Kraft dieser Strategie.​

In reaktionärer Manier versucht der neue Faschismus, die Nation und nationale Identität gegen die Globalisierung zu verteidigen.​​​​​​​ ​​​​​​​In diesem Bild einer Volksgemeinschaft, die es gegen »die da oben« und gegen »die von außen« zu verteidigen gilt, ähneln sich die unterschiedlichen rechten Projekte weltweit – von der Trump-Musk-Kombo in den USA, bis zu den »Remigrations«-plänen der AfD in Deutschland, den Machtansprüchen Le Pens in Frankreich und den autoritären Regimen à la Orban.“​​​​​​​ Der Aufstieg des neuen Faschismus ist ein weltweites Phänomen, das in seinen nationalen Erscheinungsformen auf weltweite ökonomische Verwerfungen und eine politische Legitimationskrise reagiert.

Die AfD und ihre Vorgänger agierten in der BRD von Anfang an mit antimuslimischen Rassismus, Queerfeindlichkeit und Antifeminismus; als Fortführung »bürgerlicher« Demonstrationen gegen geplante Moscheen, Geflüchtetenunterkünfte oder Sexualkundeerziehung von Kindern von den Medien zuerst als »Protestparteien« verniedlicht, greift die AfD nun sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Leben auf – zielgerichtet auf einen Kampf um Kultur, staatliche Institutionen und nationalistische Wirtschaftspolitik an. Diese Entwicklungen – samt dem Hofieren dieses Faschismus von der »Mitte« der Gesellschaft – sind nicht nur eine Bedrohung für Einzelne, sondern auch für die globale antifaschistische Bewegung. Jeglicher Widerstand gegen diese Zustände – ob beim Tag der Ehre in Ungarn, gegen Elon Musks Tech-Imperium oder dem AfD-Bundesparteitag – wird von uns begrüßt und wo es geht unterstützt.

Die Rolle des Staats – Das Ausufern hat System

Auch wenn wir der SoKo LinX in Sachsen und jedem einzelnen Bullen, wenn sie gegen Linke ins Feld ziehen, persönliche Genugtuung und Handeln aus politischer Überzeugung mindestens zutrauen, greift das Freidrehen einzelner Behörden als Erklärung zu kurz. Womit wir hingegen konfrontiert sind, ist das Ergebnis eines kontinuierlichen Ausbaus des staatlichen Sicherheitsapparats, der die Grenzen des Ermessensspielraums der Bullen vorgibt. Das geht unter anderem mit einem spürbaren Anstieg von Repressionen gegen uns, die radikale Linke, einher.

Diese können als eine notwendige Selbsterhaltungsreaktion des bürgerlich-kapitalistischen Staates im Angesicht der sich häufenden Krisen und kriegerischen Auseinandersetzungen angesehen werden. Die Zeiten des deutschen Wohlfahrtsstaates, in dem vermeintlich alle ein Stück vom Kuchen abbekommen haben, sind vorbei. Stattdessen entfesseln sich immer stärkere Verteilungskämpfe: Wer mehr oder überhaupt noch etwas abhaben will, muss es jemand anderem wegnehmen. Ob Reallohnverlust, Klassenkampf (von oben) im Inland oder die international geführten Konflikte und Kriege um Ressourcen und Land, sie sind Ausdruck ebendieser Verteilungskämpfe. Wo die Stabilität der »sozialen« Marktwirktschaft und ihre Sicherheits- und Wohlstandsversprechen der BRD immer offensichtlicher zur Illusion werden, setzt der Staat auf Härte und reagiert mit dem Ausbau innerer Sicherheit, Aufrüstung, Abschottung und kulturellem Rollback.

Autoritäre Formierung als perpetuum mobile

Die Verteidigung des Staates wird zur zentralen Aufgabe. Nach außen wird diese öffentlichkeitswirksam gestärkt, um sich letztlich international behaupten zu können. Zum anderen wird nach innen die Bevölkerung darauf eingeschworen, für die nationalen Interessen den Gürtel schon mal enger zu schnallen und notfalls sogar das eigene Leben dafür zu geben. Anstatt den Ursachen für Krieg und Krise auf den Zahn zu fühlen, wird der Status quo mit immer absurderen Mitteln versucht, aufrechtzuerhalten. Erfolgreich angegriffen wird der Staat vor allem von Rechts: Der neue Faschismus hält dem Staat nicht nur seine Unfähigkeit vor, Krisen zu lösen, sondern jene Krisen werden kulturell umgedeutet in den Diskurs zurückgeworfen. Als politische Konkurrenz – und nicht als faschistische Bedrohung für Leib und Leben – lehren sie dem Establishment das Fürchten.

Wer nicht schwach und unfähig wirken will, muss beweisen, dass er selbst hart durchgreifen kann: So schaffen Politiker*innen, Staat und Behörden sich ihre eigene Daseinsberechtigung. Denn selbst der ungerechteste Staat, der seinen Bürger*innen nichts mehr an Wohlstand und sozialer Sicherheit anbieten kann, erscheint noch legitim, wenn nur die Gefahr groß genug ist, vor denen er sie tagtäglich schützt. Mit Sicherheitspaketen und Mittelkürzungen werden Gesellschaft und Staat dem Autoritären angepasst, sodass die Faschisten nicht mehr viel Gegenwehr zu erwarten haben, sollten sie irgendwann übernehmen.

Staatsumbau kommt selten allein

Autoritäre Formierung meint nicht nur die Arbeit in den Staatsapparaten. Autoritäre Versprechungen greifen auf individueller, wie auch gesellschaftlicher Ebene, um über die Widersprüchlichkeit des Systems hinweg täuschen zu können. Wo Repression als Antwort gesetzt wird, müssen die Probleme geschaffen und ins Zentrum gesetzt werden, auf die Repression wirken kann. Einfache Erklärungen verfestigen Ideologien, die den Kitt für den gesellschaftlichen Konsens bilden sollen.

Die Zuwendung zur autoritären Erzählung findet nicht nur in Regierungskreisen statt, sondern wird von immer mehr Menschen getragen. Erst durch sie wird die autoritäre Formierung mit Leben gefüllt, erst durch sie bekommt die Repression ihren notwendigen gesellschaftlichen Rückhalt. Die Formen der Repression sind hierbei durchaus vielfältig: Diffamierung, Mittelentzug, verschärfte Versammlungsgesetze, digitale Überwachung, Hausdurchsuchung, Abschiebungen, Knast… Ebenso vielfältig sind die Adressat*innen: »Klima-Kleber«, »importierter Antisemitismus« und »gefährliche Linksextremisten«, Kurd*innen, pro-Palästina Demonstrant*innen oder Fußball-Ultras. Die Merz-CDU hat mit ihrer Anfrage zu zivilgesellschaftlichen Akteuren, die ihr nicht passen, unmissverständlich gezeigt, dass staatliche Schläge keineswegs auf diejenigen begrenzt sind, die sich außerhalb des gesetzlichen Rahmens bewegen und wir uns alle warm anziehen müssen.

Selbstschutz verteidigen – Antifa auf allen Ebenen, mit allen Mitteln

Wir machen uns nichts vor, denn wir leben in einem Land, in dem eine extrem rechte Partei mit waschechten Faschisten bei Wahlen über 20% erreicht und von der neuen Regierungspartei willkommen geheißen wird. In einem Land, in dem eine rechtsterroristische Organisation namens NSU über Jahre hinweg neun Migrant*innen ungestört ermorden konnte. In einem Land, in dem hunderte Neonazis im Untergrund »Feindeslisten« erstellen, Waffen horten, Schießtrainings absolvieren und sogenannte Reichsbürger einen Staatsstreich planen. Ein Land, in dem ein ehemaliger Präsident des Verfassungsschutzes inzwischen offen Teil rechter Netzwerke ist. Und in dem ein 43-Jähriger ein rassistisches Manifest verfasst, um anschließend neun Menschen mit Migrationsgeschichte in Hanau kaltblütig zu ermorden. Es ist auch das Land, in dem sich Rechte aller Couleur aus Wirtschaft, Politik und Medien seelenruhig treffen und sich über »Remigration« beratschlagen, während rassistische und geflüchtetenfeindliche Einstellungen bis ins sogenannte »liberale Lager« Konsens sind. Schließlich ist es ein Land, in dem – trotz fadenscheiniger Anti-Establishment Parolen der Rechten – anstatt sich wirklich gegen »die da oben« zu vereinen, schon immer nach unten getreten und gegen »Fremde« gehetzt wird. Nicht zuletzt beim rassistischen Anschlag von Hanau hat sich manifestiert, dass der Staat anders als bei der Repression gegen Antifas bei der Bekämpfung rechten Terrors nichts dazu lernt, egal wie viele scheinheilige Trauerbekundungen es gibt. Hanau kann immer und immer wieder passieren und der Staat hat nichts besseres zu tun, als die Angehörigen bloßzustellen, wenn sie nicht ja und Amen zu jedem Bisschen an Erinnerung und Aufklärung sagen, was die Politik ihnen geben will.

Wir sehen: Die Notwendigkeit einer antifaschistischen Organisierung existiert nicht erst seit gestern. Das zeigt sich nicht zuletzt in der Stadt, in der wir uns versammeln möchten: Dass Jena eine Insel im braunen Thüringen war, in der als fremd markierte Menschen (über-)leben können und konnten, liegt auch daran, dass sich in der Vergangenheit Antifaschist*innen dort zusammenschlossen und den Selbstschutz organsierten. Die aktuellen Ereignisse und Zuspitzungen rufen uns immer wieder in Erinnerung, dass Selbstschutz und Wachsamkeit ständig aktualisiert gehören – besonders in Zeiten einer ingesamt schwachen Linken. Die jüngsten Wahlerfolge der AfD, die vermehrten tätlichen Angriffe, ob auf dem CSD oder auf dem Weg zur nächsten Antifa-Demo, und die Verschiebung des Diskurses auf sämtlichen Themengebieten unserer Gesellschaft nach rechts verdeutlichen die Gefahr, dass die liberale bürgerliche Demokratie erneut ins autoritäre und faschistische umschlägt. Auf den Weg dorthin hat sie sich bereits gemacht.

Solidarität statt Spaltung

Deshalb ist es nun an uns, zusammen zu stehen und uns gegen die Angriffe, ob nun von Rechten mit oder ohne Uniform, zu wehren. Der Antifaschistische Kampf hat schon immer von einer Vielfalt der Mittel profitiert. Wir dürfen nicht anfangen, unsere Genoss*innen unter den Bus zu werfen, weil uns ihre Mittel nicht passen – oder diese schlecht an die örtliche Presse zu verkaufen sind. Auch wir als …um’s Ganze!-Bündnis sind in den letzten Jahren hauptsächlich mit zivilem Ungehorsam aufgetreten, beispielsweise um Naziaufmärsche zu blockieren. Das war oft wirksam und hat viele Leute mitgenommen, doch damit haben wir auch – unbeabsichtigt – dazu beigetragen, das, was als »legitimer Protest« gilt, einzuengen. Am Ende des Tages ist antifaschistischer Selbstschutz auch Handarbeit. Handarbeit, die nicht gerne gemacht wird. Viel lieber würden wir an einer Vision mitarbeiten, die den Namen einer befreiten Gesellschaft verdient. Aber um diese Möglichkeit aufrecht zu erhalten, muss der Faschismus gestoppt werden, müssen wir auf die Straßen gehen und die Orte und Menschen, die von den Angriffen betroffen sind, verteidigen und dem Mob entgegentreten. Wie Antifa geht, bestimmt nicht der Staat. Wir lassen uns nicht von Kategorien um Schuld oder Unschuld, Gewaltfreiheit oder Militanz spalten. Wir stehen gemeinsam mit den von Repression betroffenen Antifas.

Deshalb rufen wir alle dazu auf, mit zur bundesweiten Anti-Repressions Demo „Antifa ist notwendig“ in Jena zu kommen, und alle zusammen gegen die Repression und die autoritäre Formierung auf die Straße zu gehen. Aus vielen …ums Ganze-Städten wird es organisierte Anreisen geben, also achtet auf Ankündigungen und organisiert euch!

Obwohl die Freiheit, die wir uns erträumen, immer mit der Gefahr verbunden ist, alles zu verlieren, gilt es, weiterzumachen.

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